Nachhaltigkeitsaktivitäten im Fokus der Kartellbehörden

Die „Nachhaltigkeitswelle“ ist schon längst in allen Branchen angekommen. Environmental Social Governance (ESG) wird zur gesetzlichen Fortführung des (des bisher eher freiwilligen) Nachhaltigkeitsprinzips.  Hier hat der European Green Deal einen ambitionierten Fahrplan vorgelegt. Der politische, gesellschaftliche und regulatorische Druck, hohe Nachhaltigkeits-Standards einzuhalten, ist groß. Hier werden nun auch oft gemeinschaftliche Nachhaltigkeitsaktivitäten gestartet – welche bereits im Fokus der Kartellbehörden stehen.

Wieso aber stehen diese (zumeist altruistischen) Nachhaltigkeitsaktivitäten aktuell im Fokus der Kartellbehörden? Im Grundsatz besteht selbstverständlich kein Widerspruch zwischen den Gemeinwohlzielen der Nachhaltigkeitsaktivitäten und dem Ziel des Wettbewerbsschutzes. Kartellbehörden werden insoweit auch nicht tätig, um Nachhaltigkeitsaspekte (i.e., Gemeinwohlziele) durchzusetzen, sondern vielmehr gebeten, nicht tätig zu werden, um nachhaltigkeitsfördernde Vereinbarungen nicht zu verhindern. Dabei ist es entscheidend, Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil aufzufassen und mit den Zielen des Wettbewerbsschutzes in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Wann ein Wettbewerbsverstoß vorliegen kann – hängt von der kartellrechtlich relevanten Verhaltensweise ab. So ist im Rahmen des Kartellverbots zu beachten, dass bereits die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern – trotz Förderung von Gemeinwohlinteressen – den Wettbewerb beschränken und verboten sein kann. Im Kern stellt sich hier die Frage, ob (i) die Zusammenarbeit überhaupt den Wettbewerb beschränkt und, wenn ja, (ii) eine Ausnahme vom Kartellverbot (Freistellung) vorliegt, da die Nachhaltigkeitsverbesserungen zu erheblichen Effizienzgewinnen führen, an welchen die Verbraucher eine angemessene Beteiligung erhalten. Dass hehre Ziele jedoch nicht vor einem Wettbewerbsverstoß schützen, verdeutlicht bereits die illustre „Chicken of Tomorrow“-Initiative. Hierbei ging es um die Einführung eines industrieweiten Mindeststandards für die nachhaltigere Produktion von Hühnerfleisch. Nach Ansicht der holländischen Kartellbehörde hätte dies jedoch zu einer Einschränkung des Wettbewerbs geführt, da „regulär“ produziertes Hühnerfleisch nicht mehr verkauft werde und insoweit die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher reduziert würden. Auch eine Ausnahme – in Form einer Freistellung vom Kartellverbot – kam nicht in Betracht, da die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher nicht ausreiche, um den zu erwartenden Anstieg der Verbraucherpreise zu rechtfertigen.

Bahnbrechend ist in diesem Kontext die Entscheidung der EU-Kommission im Sommer 2021 wegen Beschränkung des Wettbewerbs bei der Abgasreinigung neuer Diesel-PKW. Die Vorwürfe sind von denen in der Dieselaffäre zu unterscheiden. Nunmehr wurde BMW, Volkswagen, Audi und Porsche vorgeworfen, sich bei der Größe und den Reichweiten der AdBlue-Tanks in der Zeit von 2009 bis 2014 abgestimmt zu haben. Als Konsequenz wurde ein Bußgeld in Höhe von 875 Millionen Euro verhängt. Die Behörde betritt damit Neuland. Es ist das erste Mal, dass die Kommission Absprachen über die technische Entwicklung als Kartelle mit einem Bußgeld belegt. Es handelt sich vorliegend eben nicht um ein klassisches Kartell im Sinne von Preisabsprachen oder der Aufteilung von Gebieten oder Kunden. Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager unterstreicht, die fünf Autobauer „verfügten über die Technologie, mit der sich die schädlichen Immissionen über die Vorgaben der EU-Abgasnormen hinaus reduzieren ließen. Sie haben aber einen Wettbewerb darüber vermieden, das volle Potential dieser Technologie zu nutzen.“ Gerade Innovationen seien von entscheidender Bedeutung, damit Europa die ehrgeizigen Ziele des „Green Deals“ erreichen kann „und für eine rege Innovationstätigkeit bedarf es eines lebhaften Wettbewerbs“.

Es liegt auf der Hand: Nachhaltigkeitsinitiativen führen auf ein kartellrechtliches Minenfeld. Die Risiken müssen rechtzeitig erfasst und umgesetzt werden. Denn nun erwarten uns mehr Nachhaltigkeit, mehr Gesetze, mehr Risiko und als Konsequenz auch mehr Compliance.

Autor: Prof. Dr. Frank A. Immenga, LL.M. (Emory), Attorney at Law (N.Y.), ist geschäftsführender Gründungsdirektor des Instituts für Compliance & Environmental Social Governance (ICESG), Inhaber einer Professur an der Hochschule Trier am Umwelt-Campus Birkenfeld und als RA in Frankfurt am Main tätig.