Covid-19: Nichts wird mehr so sein, wie es war – auch im Management?!

Die aktuelle Corona-Krise hat – obwohl wir uns noch mittendrin befinden und es noch nicht klar ist, welche weiteren sowohl wirtschaftlichen als auch sozialen Auswirkungen sich noch ergeben werden – in ihrer Intensität bei vielen Unternehmen große Änderungen und Maßnahmen hervorgerufen. Und das Ganze in einer nicht geahnten Intensität und in äußerst kurzer Zeit. Manche Unternehmen haben innerhalb kurzer Zeit ihr Geschäftsmodell über den Haufen geworfen und sind nun vornehmlich im E-Business tätig oder sind auf die Produktion von Masken und sonstigem persönlichen Schutzbedarf (PSA) umgestiegen. Fast schon normal ist es geworden, dass alle oder zumindest ein Großteil der Mitarbeiter innerhalb kürzester Zeit vom Homeoffice aus arbeiten. Genauso normal wurden und werden in der Politik die immer größer werdenden Rettungspakete, die schon jetzt die Volumina der Finanzkrise 2008 locker übertroffen haben.

Im Folgenden werden einige Gedankenanstöße hinsichtlich systematischen Fehlern, Verzerrungen und Trugschlüssen in der Entscheidungsfindung und im Management dargestellt, die im aktuellen Marktumfeld erstaunlich häufig wieder auftreten. Diese Fehler, Verzerrungen und Irrtümer sind dem Buch „Risiko im Management“ (Springer 2019, ISBN 978-3-658-25834-4) entnommen, das insgesamt 100 verschiedene Ausprägungsformen darstellt!

Zu starker Fokus auf historischen Daten

Viel zu oft werden zentrale Zukunftsentscheidungen immer noch rein oder vornehmlich auf Basis von historischen Daten getroffen. Dies mag zielführend sein, wenn die Vergangenheit repräsentativ für die Zukunft ist. In der aktuellen Situation, in der an vielen Ecken und Ecken die Rede ist von Digitalisierung und der Disruption bestehender Geschäftsmodelle, in der es große Unsicherheiten aufgrund des Klimawandels und der wirtschaftlichen Folgen des European Green Deals gibt und Branchen wie der Einzelhandel, die Automobil- und Finanzbranche, aber auch die Unterhaltungs- und Reisebranche vor einer ungewissen Zukunft stehen, sollten auch alternative Zukunftsprojektionen erlaubt sein.

Ein Artikel der Harvard Business Review aus dem Jahr 2017 forderte deshalb, dass Manager mehr Science Fiction lesen sollten (vgl. Peper 2017). Als Beispiel wird aufgeführt, dass die Stadt New York Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund der 145.000

Pferde, die wiederum 45.000 Tonnen Dünger pro Monat produzierten, „zum Himmel stank“. Stadtplaner und Experten kamen aus aller Welt, um nach einer Lösung für dieses Problem zu suchen. 14 Jahre später löste es sich quasi von allein durch die weite Verbreitung des Automobils. Es scheint zwar aktuell nur schwer denkbar, dass eine Pandemie wie Covid-19 sich vollständig und für immer auflöst, bleibt doch eine latente Gefährdung aufgrund der Globalisierung für ähnliche Konstellationen, selbst wenn ein Impfstoff gefunden wird. Ein wahrer Game Changer – wie im Beispiel des New Yorks des 19. Jahrhunderts – könnte allerdings eine flächendeckende Frühdiagnostik werden, die mögliche Infektionen früh zu erkennen hilft und Ausbreitungen damit verhindert oder zumindest dramatisch verlangsamt, wodurch wiederum die Notwendigkeit großangelegter Lockdowns drastisch abnimmt.

Inflation der „schwarzen Schwäne“

Durch den Bestseller „Der schwarze Schwan“ von Nassim Taleb hat dieser Begriff speziell im Risikomanagement eine sehr große Bekanntheit erlangt und es wurden viele Ansatzpunkte für den Umgang beziehungsweise die Vermeidung solcher Extremereignisse diskutiert. Gleichzeitig kann man aber auch immer häufiger vernehmen, dass auch „normale“ Probleme schnell als unvorhersehbare „schwarze Schwäne“ klassifiziert werden, um ein mögliches Führungsversagen unter den Teppich zu kehren.

Natürlich gibt es gute Gründe, die Corona-Pandemie als schwarzen Schwan zu klassifizieren. Es kommt aber dabei auf eine sehr genaue Prüfung an. Denn einige Missstände und Fehlentscheidungen wurden auch unabhängig von Corona schlagend – die Krise hat höchstens den Zeitpunkt vorgezogen. Außerdem konnten die Einflussfaktoren der jetzigen Krise nicht nur mit verblüffender Ähnlichkeit bereits in der Phantasie Hollywoods im Film „Contagion“ im Jahr 2011 konstruiert werden, sondern auch in einer Risikoanalyse mit dem Titel „Pandemie durch Virus Modi-Sars“ der Bundesregierung aus dem Jahr 2012.

Viel wichtiger als ein Ereignis wie Covid-19 und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des weltweiten Lockdowns präzise vorherzusagen, ist es aber, darauf vorbereitet zu sein und im Falle eines Schadenseintritts „antifragil“ zu sein, also nicht so leicht verwundbar.

Fehlende Antifragilität und/oder Resilienz

Bei den Ansätzen der Resilienz und der Antifragilität geht es darum, einerseits die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass kein Dominoeffekt entstehen kann beziehungsweise dass keine existenzbedrohenden Schäden durch Dominoeffekte entstehen. Andererseits ist ein weiteres, sicherlich sehr hehres Ziel – speziell bei der Antifragilität im Vergleich zur eher starren Resilienz und Robustheit – mit jedem Schaden und mit jedem Schock noch besser zu werden. Das heißt, der Umgang mit Fehlern und eine gelebte Fehlerkultur spielen hier eine zentrale Rolle.

Wenngleich es für die meisten Unternehmen noch ein größerer Schritt sein dürfte, bis die Ansätze der Antifragilität und Resilienz umgesetzt sind, sollten sie „im Kopf schon einmal umparken“ und sich darauf einstellen, nicht sämtliche Energie darauf zu verwenden, die Prognosen – die ohnehin nie gänzlich korrekt sein können – bis ins Detail zu perfektionieren, sondern vielmehr alternative Maßnahmenpläne im Sinne von Wenn- Dann-Überlegungen vorzubereiten. Denn im Endeffekt ist es für ein Unternehmen egal, ob der Auslöser eines Umsatzeinbruchs und einer möglichen Liquiditätsklemme mit

erhöhten Ausfällen der Kunden nun eine weltweite Pandemie, eine Bankenkrise oder ein Terroranschlag ist.

Weitere Beispiele für Fehler und Verzerrungen, die im Buch dargestellt werden, und sehr gut auf die aktuelle Situation übertragen werden können, sind unter anderem:

  • Der Volvo-Irrtum: auch bekannt als „anekdotischer Fehlschluss“ und die Tatsache, dass Geschichten stärker wirken als Fakten.
  • Mathematisierung der Zukunft: Die Illusion, alles erklären zu können, sobald ein konkreter Zahlenwert verfügbar ist.
  • Die Welt als „Random Walk“? Glücksspiel á la Monte Carlo oder doch eher Kausalität?
  • Alpha- und Beta-Fehler oder: die Illusion, alle Risiken zu vermeiden sei gut.
  • Verfügbarkeitsheuristik: was lange genug wiederholt wird, wird irgendwann als plausibel wahrgenommen.
  • Mentale Buchführung: Warum Geldbeträge für uns, subjektiv betrachtet, unterschiedliche Werte einnehmen können.
  • Isoliertes Paralleluniversum: Warum Informationen nie in Silos gelagert werden dürfen.
  • Umgang mit unangenehmen Wahrheiten: Nichts tut so weh wie die Wahrheit!

Fazit

Systematische Denkfehler führen speziell in der Entscheidungsfindung des Managements zu Verzerrungen und Irrwegen. Es gibt allerdings auch Auswege, wie die zahlreichen Tipps und praktischen Tricks zu den einzelnen Irrtümern und Unschärfen gezeigt haben. Dies ist auch sehr wichtig, wenn man bedenkt, welche strategische Tragweite die meisten unternehmerischen Entscheidungen haben bzw. haben können. Denn die eingangs beschriebene Schnelligkeit in der Entscheidungsfindung und der Anpassung von Strategien und Geschäftsmodellen sorgt auch dafür, dass Fehler besonders teuer oder gar existenzbedrohend werden können.

Autor: Dr. Christian Glaser, Generalbevollmächtigter der Würth Leasing GmbH & Co. KG