Auswirkungen der Tatbestandserweiterung im § 299 StGB auf die Compliance Praxis in Unternehmen

A. Einleitung

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption am 26.11.2015[1] zog eine beachtliche Strafbarkeitserweiterung in die gesetzliche Landschaft der deutschen Korruptionsbekämpfung ein.[2] Neben der Reformierung von Vorschriften im Segment der Amtsträgerkorruption erfuhr insbesondere auch die Kernvorschrift zur Korruptionsbekämpfung in der Wirtschaft, der § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr), eine bedeutende Verschärfung.

Lag dieser Vorschrift bislang lediglich das sogenannte Wettbewerbsmodell (Vorteil gegen unlautere Bevorzugung im Wettbewerb) als alleinige Tatbestandsvariante zugrunde, wurde diese nunmehr um eine weitere Tatalternative, dem sogenannten Geschäftsherrenmodell, das insbesondere auf eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis zwischen Vorteilsnehmer/-geber gegenüber dem Geschäftsherren[3] im Austausch für einen Vorteil abstellt, ergänzt.

Bereits die Vorlage des Regierungsentwurfs für das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom23.01.2015[4] entfachte eine kontroverse Diskussion um die Änderung des § 299 StGB.

Gerade im Kreise von Fachanwälten und Anwaltsverbänden stieß die beabsichtigte Erweiterung des § 299 StGB überwiegend auf Ablehnung und Skepsis. So meldete u.a. der Deutsche Anwaltsverein verfassungsrechtliche Bedenken an, insbesondere infolge einer angenommen Unbestimmtheit der anstehenden Normerweiterung[5] und damit einer potenziellen Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2 GG. Die formulierte Kritik richtete sich hier u.a. auf die Problemstellung, dass Außenstehenden der interne Pflichtenkreis von Mitarbeitern eines Unternehmens nicht ausreichend bekannt sei.

Weitere Kritikpunkte erstreckten sich auf die Annahme einer potenziellen Verletzung des verfassungsrechtlich normierten Verhältnismäßigkeitsprinzips; so ermächtigt ein daraus abgeleiteter Grundsatz den Gesetzgeber, besonders sozialschädliche Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen. Inwieweit die Qualifizierung von Verletzungen rein interner, vom Angestellten gegenüber dem Unternehmen bestehender Pflichten als besonders sozialschädlich und damit als Kernvoraussetzung für eine Bestrafung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbar ist, kann nachvollziehbar in Frage gestellt werden.[6]

In der nachfolgenden Abhandlung stehen weniger verfassungsrechtliche, als tatsächlich in der Anwendungspraxis relevante Fragestellungen im Fokus, so insbesondere die Auswirkungen der Tatbestandserweiterung um das Geschäftsherrenmodell im § 299 StGB auf die Compliance[7]-Praxis von Unternehmen.

B. Regelungsbereiche des § 299 StGB

In Deutschland gilt das Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft. Sie ist geprägt durch ein gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Leitbild, das im Wesentlichen auf der Wettbewerbswirtschaft basiert. Der Wettbewerbsschutz gilt dabei als Ausdruck des wirtschaftsverfassungsrechtlich gebotenen Systems.[8] Der Gesetzgeber hat hierfür u.a. im sechsundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB die „Straftaten gegen den Wettbewerb“ verankert. Neben der Verhinderung von verbotswidrigen Wettbewerbsabsprachen wird darin ein Schwerpunkt auf den Schutz des Wettbewerbs gegen Korruptionshandlungen gelegt. Die hier maßgebliche Verbotsnorm war und ist der § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr).

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption am 26.11.2015 enthält diese Vorschrift neben der traditionellen Tatbestandsvariante des Wettbewerbsmodells nunmehr eine neue Nehmer- und Geber-Tatvariante, die unter der Bezeichnung „Geschäftsherrenmodell“ zu subsumieren sind. Insgesamt wurde § 299 StGB neu abgefasst und darin sowohl das Wettbewerbsmodell unter § 299 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB als auch das Geschäftsherrenmodell unter § 299 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 StGB integriert.

Das Wettbewerbsmodell zielt deutlich auf den Schutz des freien und fairen Wettbewerbs ab, wobei hier der ausländische Wettbewerb miterfasst ist.[9] Ferner sind durch das Wettbewerbsmodell auch bereits die Interessen des Geschäftsherrn geschützt.[10]

Die Tatbestandsausdehnung im § 299 StGB entfaltet explizit ihre Schutzwirkung auf die Interessen des Geschäftsherrn, respektive der Unternehmen und zwar an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten und Beauftragten im Bereich des Austausches von Waren und Dienstleistungen.[11]

1. Kernelemente des Wettbewerbsmodells

Im Kern stellt das Wettbewerbsmodell des § 299 StGB auf eine Unrechtsvereinbarung ab, bei der ein Vorteil als Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen versprochen, gewährt oder angenommen wird und zwar im Rahmen einer Wettbewerbslage und insoweit wettbewerbsverzerrend. Vorteilsnehmer sind entweder Angestellte oder Beauftragte eines Unternehmens.

Dem Inhalt nach blieb diese Tatbestandsvariante auch in der neuen Fassung des § 299 StGB unverändert; es wurden lediglich zwei rein redaktionelle Anpassungen („Unternehmen“ statt wie früher „geschäftlicher Betrieb“ sowie „Dienstleistungen“ statt „gewerbliche Leistungen“) vorgenommen.[12]

Zur Vollständigkeit wird kurz auf die Rechtsbegriffe „unlautere Bevorzugung beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen“ sowie den „Vorteil“ als Äquivalent innerhalb einer Unrechtsvereinbarung eingegangen.

Die Bevorzugung ist unlauter, wenn sie geeignet ist, Mitbewerber durch Umgehung der offengelegten Regeln des Wettbewerbs und durch gegen Treu und Glauben verstoßende Ausschaltung der Konkurrenz zu schädigen.[13]

Die Bevorzugung muss sich tatbestandsmäßig auf den Bezug von Waren oder Dienstleistungen beziehen. Unter dem „Bezug“ ist neben dem Vertragsschluss alles zu subsumieren, was mit dem Erhalt und Abwicklung der Lieferung zusammenhängt wie Bestellung, Abnahme, Prüfung sowie die Bezahlung.[14]

Der Rechtsbegriff „Vorteil“ gilt als Kerntatbestandsmerkmal aller Anti- Korruptionsvorschriften im Strafgesetzbuch und ist insoweit ebenso elementar im neuen Geschäftsherrenmodell.

Als Vorteil gilt „jede Leistung materieller oder immaterieller Art, die den Täter oder einen Dritten wirtschaftlich, rechtlich oder auch nur persönlich besser stellt und auf die er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat“.[15] Explizit sind hier auch die sogenannten Drittvorteile einbezogen, also Vorteile, die der Täter für andere – natürliche oder auch juristische – Personen fordert, erhält etc.[16]

a) Sozialadäquanz von Vorteilen im Sinne des § 299 StGB

Anders als im Bereich der Amtsträgerkorruption (§§ 331 ff StGB), wo ein Wert im Mittel von etwa 20 bis 30 Euro noch als sozialadäquat gewertet und damit die Gewährung eines solchen Vorteils noch in straffreier Sphäre vollzogen wird, existiert für Zuwendungen im geschäftlichen Verkehr eine solche feste Wertobergrenze nicht.[17]

Hier wird hilfsweise mit umschreibenden Formulierungen operiert. Demnach gelten Vorteile als sozialadäquat im Sinne des § 299 StGB, „die sich völlig im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens bewegen“[18]. Wobei aus dieser Definition nachvollziehbar keine konkreten Werte abzuleiten sind. Es besteht allerdings sowohl in der Rechtsprechung, als auch Literatur Einigkeit darüber, dass bei Zuwendungen von Vorteilen im geschäftlichen Verkehr ein deutlich höherer Sozialadäquanzwert zu Anwendung kommt. Begründet wird dies mit den variierenden Schutzzielen der jeweiligen Regelungen.

Der Mangel an einschlägigen Werten für den Regelungsbereich des § 299 StGB ist der Vielschichtigkeit und Komplexität des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr geschuldet. So bemisst sich hier die Sozialadäquanz von Vorteilen fallabhängig neben dem Wert einer Zuwendung noch an anderen Faktoren wie Anlass und Adressat der Zuwendung.[19] Das führt dazu, dass bestimmte Aufwendungen, die der Herstellung oder Aufrechterhaltung eines „guten Geschäftsklimas“ dienen, nicht von vornherein als Vorteil im Sinne des § 299 StGB zu werten sind.[20]

Beim Anlass gilt beispielsweise die Regel, je persönlicher, desto riskanter![21] Eine Einladung zu Weihnachten ist nicht so kritisch wie beispielsweise zu einem Geburtstag. Und ferner sind bei Entscheidern andere Regeln anzuwenden als bei einem Mitarbeiter ohne Entscheidungsbefugnis.[22]

Anerkannt sozialadäquat – und daher nicht als Bestechungsmittel geeignet – sind beispielsweise kleinere Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten wie das Abholen mit dem Geschäftswagen und/oder die Einladung zu einem Geschäftsessen.[23]

Zur Feststellung der Sozialadäquanz in der Praxis muss insofern jeder Fall mit seinen spezifischen Bedingungen individuell geprüft und bewertet werden. Unternehmen, deren Mitarbeiter beispielsweise regelmäßig Bewirtungseinladungen erhalten bzw. selbst regelmäßig Einladungen aussprechen, hätten hier wiederkehrend einen nicht unerheblichen Prüfaufwand zu leisten. Daher werden häufig in unternehmensinternen Compliance-Richtlinien vorsorglich generelle Wertobergrenzen für Vorteilszuwendungen an Mitarbeiter bestimmt.

2. Kernelemente des Geschäftsherrenmodells

Die neuen Tatvarianten des Geschäftsherrenmodells aus § 299 Abs. 1 Nr. 2 (Nehmerseite) und Abs. 2 Nr. 2 (Geberseite) StGB erweitern die Strafbarkeit auf die Vorteilsannahme respektive Vorteilsgewährung als Gegenleistung für die Vornahme oder Unterlassung einer Handlung beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen unter Verletzung einer seitens des Angestellten oder des Beauftragten gegenüber dem Unternehmen bestehenden Pflicht, wobei die diesem Handeln zugrundeliegende Unrechtsvereinbarung ohne Einwilligung des Unternehmens getroffen wird.

Hierdurch ist beispielsweise die im Rahmen einer Unrechtsvereinbarung angekündigte Pflichtverletzung eines Angestellten oder Beauftragten bei gleichzeitiger Forderung eines Vorteils selbst dann nach § 299 StGB strafbar, wenn weder eine

Wettbewerbsverzerrung, noch ein Vermögensschaden auf Seiten des Unternehmens zu konstatieren ist.[24]

Es bedarf lediglich eines Beschaffungsvorgangs, im Rahmen dessen ein Vorteil dafür erbracht oder empfangen wird, dass sich ein Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens auf Grundlage einer Unrechtsvereinbarung zur Verletzung seiner Pflichten bereit erklärt und dass dies ohne Einwilligung des Unternehmers geschieht.[25]

Dem Gesetzgeber reichte der in der alten Fassung des § 299 StGB bereits gewährleistete Schutz der Interessen des Geschäftsherrn an der unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch die Angestellten und Beauftragten nicht mehr aus. Denn die Vorschrift mit ihrer Beschränkung auf Bevorzugungen im Wettbewerb erfasste gerade nicht die – nach Einschätzung des Gesetzgebers – strafbedürftigen Fälle der mit Schmiergeldzahlungen erkauften Verletzung von Pflichten durch Angestellte und Beauftragte von Unternehmen außerhalb von Wettbewerbslagen[26].

Aus dem Begründungszusammenhang des Gesetzesvorhabens resultiert ferner, dass diese Tatbestandserweiterung deutlich auf Harmonisierung des deutschen Strafrechts mit dem anderer europäischer Rechtsordnungen abzielt.

Bezüglich der Tatbestandsmerkmale „Vorteil“ und „Bezug von Waren oder Dienstleistungen“ (als Beschaffungsvorgang) wird auf die Ausführungen unter Punkt 1. diese Abhandlung verwiesen.

Zur Begriffsdefinition der „Pflichten gegenüber dem Unternehmen“ führt der Gesetzgeber in seiner Begründung wie folgt aus: „Es handelt sich dabei um Pflichten, die dem Angestellten oder Beauftragten gegenüber dem Inhaber des Betriebes obliegen. Diese können sich insbesondere aus Gesetz oder Vertrag ergeben“[27].

Der Gesetzgeber schärft in seiner Gesetzesbegründung allerdings bereits die Qualität der tatbestandsrelevanten Pflichtverletzung weiter aus. So heißt es darin, ausreichend sei nicht jede aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis resultierende Pflicht.[28] Es müsse sich um Pflichten handeln, die sich auf den Bezug von Waren oder Dienstleistungen beziehen. Somit fielen rein innerbetriebliche Störungen nicht unter den Tatbestand, da es sich insoweit nicht um Pflichten handelt, die sich auf den Bezug von Waren oder Dienstleistungen beziehen.[29]

Bei der Diskussion um ausschärfende Merkmale der Pflichtverletzung akzentuierte der Gesetzgeber die wesentlichen Kritikpunkte an der Tatbestandsausdehnung in der Vorschrift des § 299 StGB wie folgt:[30]

  • Man überließe faktisch die Bestimmung der Reichweite der Strafbarkeit privaten Unternehmen, da diese den Pflichtenkreis definierten.
  • Man verringere den Anreiz für umfassende Compliance-Regelungen, weil diese wiederum zur Pönalisierung der eigenen Angestellten führten.
  • Es sei für Außenstehende regelmäßig kaum möglich, die konkreten Compliance-Vorga-ben im Blick zu haben.

Die dagegen wirkenden Maßnahmen fanden ihren Niederschlag in Form von zwei Einschränkungen; so solle erstens „eine Pflichtverletzung nur noch dann vorliegen, wenn der Vorteil ohne Einwilligung des Unternehmers angenommen werde“ und zweitens „werde nicht mehr auf die reine Pflichtverletzung abgestellt; vielmehr müsse eine Handlung oder ein Unterlassen hinzutreten, die auf die Erfüllung der Pflichtverletzung

und der Unrechtsvereinbarung, die zu Lasten des Unternehmers getroffen worden sei, abzielten“.[31]

Auf eine nachträgliche Zustimmung in Form einer Genehmigung wurde bei der Normgestaltung ausdrücklich unter dem Hinweis verzichtet, dass es sich um ein Antragsdelikt handele.[32]

Inwieweit die dargestellten Einschränkungen zur Eindämmung der Kritikpunkte geeignet sind, wird die Rechtspraxis zeigen. Nähere Ausführungen dazu erfolgen thematisch unter Punkt III. der Abhandlung.

C. Auswirkungen der Gesetzesänderung auf die Compliance-Praxis in Unternehmen

Wenn von Compliance oder Compliance Management die Rede ist, umfasst dieser Begriff die Einhaltung und Überwachung von gesetzlichen und unternehmensinternen Regeln durch Unternehmen, respektive ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und dies auf allen hierarchischen Ebenen in Unternehmen.[33]

Jedoch kann es bei der Einrichtung, Implementierung und Weiterentwicklung von Compliance-Programmen in der Unternehmenspraxis nicht darum gehen, jedes erdenkliche Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder dem Unternehmen zuzurechnenden Dritten zu unterbinden, sondern vielmehr um die „Vermeidung systematischen Fehlverhaltens“.[34]

Es gilt allerdings die Pflicht für Unternehmen, die Begehung von Straftaten in und aus ihren Unternehmen heraus durch geeignete aufbau- und ablauforganisatorische Maßnahmen zu verhindern;[35] andernfalls drohen erhebliche Bußgelder sowie Organhaftungsrisiken.

1. Compliance-Richtlinien mit integriertem Strafbarkeitspotenzial

Das Gerüst zur Gewährleistung rechtskonformen Verhaltens von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bilden neben entsprechenden Präventions- und Kontrollmaßnahmen, insbesondere sogenannte unternehmensinterne Compliance-Richtlinien; diese fordern ein integres Verhalten, insoweit die Einhaltung von nationalen und internationalen Gesetzen, Vorschriften aber auch freiwilligen Selbstverpflichtungen, sowie internen Richtlinien, ein.

Basierend auf Erfahrungen der etwa letzten 10 Jahre, in denen Unternehmen nach Bekanntwerden von Korruptionsfällen regelmäßig mit sehr hohen Bußgeldern belegt wurden, richten Compliance-Programme verstärkt ihren Fokus auf die Vermeidung der besonders schädlichen Korruption. Diese Ausrichtung findet deutlich ihren Ankerpunkt in der Ausgestaltung unternehmensinterner Compliance-Richtlinien oder gar spezifizierter Anti-Korruptionsrichtlinien, dies beispielsweise mit wertmäßig klaren Regelungen zu Geschenkannahmen und Einladungen.

Bislang wurde in Unternehmen zur Vermeidung von Rechts- und Haftungsrisiken (im Sinne der Business Judgment Rule) nach dem Prinzip verfahren, besonders strenge und über das strafrechtlich Verbotene hinausgehende Compliance-Regeln
einzuführen.[36] Dies trifft beispielsweise gerade für Regelungen zu Geschenkannahmen und Einladungen zu. So verankern Unternehmen in den jeweiligen internen Compliance- Richtlinien regelmäßig feste Wertgrenzen für die Annahme oder Gewährung von Geschenken und Einladungen im geschäftlichen Verkehr; diese liegen überwiegend im Bereich von 30 bis 50 Euro je Mitarbeiter per anno.

Diese Form der unternehmensinternen Verpflichtung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Beachtung fester Wertgrenzen bei Zuwendungen korrespondiert nicht mit der geltenden Rechtslage zur Bekämpfung von Wirtschaftskorruption; dies ausdrücklich auch nicht nach der neuen und geltenden Fassung des § 299 StGB. Denn nach dem eigentlichen Willen des Gesetzgebers und der Gerichte bemisst sich die Strafwürdigkeit eines Vorteils im Sinne des § 299 StGB nach dem Prinzip der Sozialadäquanz (Hierzu wurde bereits unter Punkt II. ausgeführt) und diese sollte fallabhängig, individuell berücksichtigt werden; zumeist kann dabei die Wertgrenze von 50 Euro deutlich überschritten werden, ohne die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals „Vorteil“ aus § 299 StGB zu realisieren.

In der Konsequenz lag im Status Quo der alten Fassung des § 299 StGB in Ermangelung der tatbestandsverwirklichenden Vorteilsqualität bei Annahme oder Gewährung von noch sozialadäquaten Vorteilen keine Verwirklichung der entsprechenden Korruptionsstraftat. Und zwar auch dann nicht, wenn die unternehmensinternen Wertgrenzen für bspw. Geschenkannahmen eindeutig überschritten, aber noch als sozialadäquat im Sinne der Strafvorschrift des § 299 StGB zu werten waren.

Nach neuer Rechtslage unter Anwendung des Geschäftsherrenmodells entfalten die unternehmensinternen Compliance-Richtlinien hingegen unstreitig einen strafrechtlich relevanten Charakter. Die Missachtung der darin festgelegten Wertgrenzen und damit die Verletzung der insoweit korrespondierenden Pflichten führen im gleichen Sachverhalt ggfs. zu einer strafrechtlichen Relevanz des Vorteils, selbst wenn es sich dem Grunde nach um die Zuwendung von noch sozialadäquaten Vorteilen (gemäß Wettbewerbsmodell) handelt.

In der Begründung zur finalen Fassung des § 299 StGB geht der Gesetzgeber konkret auf diese Problemstellung ein und führt dazu aus, „dass für die Pflichtverletzung des Vorteilsnehmers die bloße Annahme des Vorteils oder das bloße Verschweigen der Zuwendung gegenüber dem Geschäftsherrn nicht ausreichend ist und die Pflichtverletzung durch ein darüber hinausgehendes Verhalten des Vorteilsnehmers erfolgen muss. Daran fehlt es, wenn sich die Pflichtverletzung des Vorteilsnehmers in der Annahme des Vorteils erschöpft.“[37] Und weiter heißt es in der Begründung: „Ein Vorteil, dessen Annahme eine Pflichtverletzung begründet, ist nicht zugleich Gegenleistung für diese Pflichtverletzung. Der in der Annahme eines Vorteils liegende Verstoß beispielsweise gegen Compliance-Vorschriften des Unternehmens ist daher zur Tatbestandsverwirklichung nicht ausreichend. Der Vorteil muss vielmehr im Rahmen der […] erforderlichen Unrechtsvereinbarung eine Gegenleistung für die im Interesse des Vorteilsgebers liegende Verletzung von Pflichten durch den Vorteilsnehmer sein.“[38]

Unklar ist allerdings, ob die Gerichte bei der Beurteilung künftiger Korruptionsverdachtsfälle dieser Begründung folgen oder ggfs. für sich fallbezogen eine andere Auslegung annehmen. Denn der bloße Gesetzestext lässt Raum für Interpretation. Ggfs. könnte das Geschäftsherrenmodell dahingehend eine Ausstrahlungswirkung auf die generelle Bewertung der Sozialadäquanz von Vorteilen entfalten – dann auch auf die Tatvariante des Wettbewerbsmodells.

Es bleibt festzuhalten, dass ungeachtet der angebotenen Begründung zur Gesetzesänderung durch die Einführung des Geschäftsherrenmodells die Tatbestandserfüllungsschwelle für das Tatbestandsmerkmal „Vorteil“ merklich reduziert wurde. Die Folge ist eine signifikante Erhöhung der Strafbarkeitswahrscheinlichkeit nach § 299 StGB.

2. Strafrechtliche Relevanz von Pflichtverstößen

Der Gesetzgeber erkannte bereits im Zuge der Gesetzesvorlage zur Verschärfung des § 299 StGB, dass Verstöße gegen die indes weit verbreiteten (unternehmensinternen) Compliance-Vorschriften potentiell ins Blickfeld staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geraten, wenn ihr Zweck im Schutz des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen besteht.

Der Anwendungsbereich des Geschäftsherrenmodells ist – wie bereits unter Punkt II. 2 der Abhandlung dargelegt – auf einen Beschaffungsvorgang bezogen; das lässt den Schluss zu, dass die Pflichtverletzung insoweit auch auf den Bezug von Waren oder Dienstleitungen gerichtet sein muss;[39] anderweitige Pflichten ohne Bezug zu einem Beschaffungsvorgang sind zwar vom Gesetzeswortlaut her erfasst, jedoch in der Praxis wohl kaum für die Strafbarkeit bedeutsam.[40]

Die Sphäre eines Beschaffungsvorgangs erfasst ja neben dem Vertragsschluss alles, was mit dem Erhalt und Abwicklung der Lieferung zusammenhängt wie Bestellung, Abnahme, Prüfung, sowie die Bezahlung.[41] Unternehmen sollten nunmehr zwingend ihre internen Pflichten mit Bezug zu Beschaffungsvorgängen überprüfen; insbesondere sollte dabei ihre Reichweite und mögliche Auswirkung auf die Strafbarkeit im Sinne des Geschäftsherrenmodells berücksichtigt werden.

Mit Inkrafttreten der Tatbestandserweiterung im § 299 StGB wird zugleich eine erhebliche Verantwortung auf die Unternehmen übertragen; eine Verantwortung, die im worst case scenario zur Kriminalisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen kann. Das Motto „viel hilft viel“ darf gerade bei der Gestaltung von Pflichtenkatalogen für die Mitarbeiterschaft nicht mehr gelten. Hier setzt der § 299 StGB in seiner neuen Fassung eine deutliche Schranke.

Der Gesetzgeber räumt den Unternehmensverantwortlichen in der Tatbestandsvariante des Geschäftsherrenmodells ein Korrektiv in Form der Einwilligung insoweit ein, dass das Unternehmen in Kenntnis der Unrechtsvereinbarung die Annahme bzw. Gewährung des Vorteils vorab gestattet und damit in die Tat einwilligt.

Allerdings müssen im Falle der Entscheidung zur Einwilligung in eine pflichtwidrige Handlung/Unterlassung als Gegenstand einer Unrechtsvereinbarung zwingend die rechtlichen Konsequenzen für die Entscheider berücksichtigt werden. Hierbei sind denkbare Szenarien zu erwägen – beginnend mit möglichen haftungsrechtlichen Folgen bis hin zum Vorhalt einer Beteiligungsform am potenziellen Korruptionsdelikt.

Inwieweit unter den Umständen der möglichen Konsequenzen noch die Bereitschaft zur Einwilligung derartige Abläufe aktiviert werden kann, bleibt abzuwarten. Es ist allerdings zu prognostizieren, dass hier eher die vornehme Zurückhaltung die Praxis beherrschen wird.

D. Fazit

Die Tatbestandserweiterung in Form des Geschäftsherrenmodells ist bereits seit mehr als 11⁄2 Jahren als Bestandteil des § 299 StGB in Anwendung. Bislang sind die Erkenntnisse daraus noch übersichtlich. Es bleibt abzuwarten, wie Gerichte in Zukunft in Fällen des Geschäftsherrenmodells entscheiden werden.

Für die Unternehmen bedeutet es dennoch, die Reifezeit der „neuen“ Vorschrift in der Rechtspraxis sinnvoll zu nutzen und sich auf künftige Fragestellungen und Maßnahmen von Ermittlungsbehörden in puncto möglicher Pflichtverletzungen von Mitarbeiterinnen

und Mitarbeitern einzustellen und ggfs. durch Evaluierung eigener Richtlinien und Vorschriften einer potenziellen Strafbarkeit entgegenzuwirken. Fakt ist, interne Regelungen und Anweisungen des Unternehmens bilden nunmehr die Grundlage für eine Strafbarkeit. Für die Unternehmen heißt es daher, die richtige Balance zwischen dem Erforderlichen und dem eher Risikobehafteten (aus Sicht der verschärften Rechtslage) zu finden. Dabei gilt es zu prüfen, ob eine etwaige Risikoreduzierung zu Gunsten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch den Führungskräften mit ordnungs- und gesellschaftsrechtlichen Vorgaben für die Compliance in Einklang zu bringen ist. (Marius Richter, LLM / Anti Korruptionsexperte)
[1] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 46, ausgegeben am 25.11.2015, Seite 2025. [2] Vgl. BT-Drucks. 18/4350 und BT-Drucks. 18/6389. [3] Momsen, in: Beck’scher Online-Kommentar, StGB, Edition 34, Stand 01.05.2017, Rn. 2. [4] BR-Drucks. 25/15.
[5] Parlamentarische Pressedienst vom 09.06.2015, „Geschäftsherrenmodell stößt auf Ablehnung“, www.bundestag.de/presse/hib/2015_06/-/377552, Zugriff 26.06.2017. [6] Vgl. Heuking/von Coelln, Die Neuregelung des § 299 StGB – Das Geschäftsherrenmodell als Mittel zur Bekämpfung der Korruption?, Betriebs-Berater, Heft 6, 2016, S. 323, 324. [7] Vgl. u. a. Roxin, in: StV 2 2012, S. 116 (116). [8] Vgl. Heuking/von Coelln, Die Neuregelung des § 299 StGB – Das Geschäftsherrenmodell als Mittel zur Bekämpfung der Korruption?, Betriebs-Berater, Heft 6, 2016, S. 323, 325. [9] SSW-StGB/Rosenau, § 299, Rn. 4. [10] BT-Drucks. 18/4350, S. 21.
[11] BT-Drucks. 18/4350, S. 21. [12] U.a. BT-Drucks. 18/4350, S. 22; Heuking/von Coelln, Die Neuregelung des § 299 StGB – Das Geschäftsherrenmodell als Mittel zur Bekämpfung der Korruption?, Betriebs- Berater, Heft 6, 2016, S. 323, 324. [13] Momsen, in: Beck’scher Online-Kommentar, StGB, Edition 34, Stand 01.05.2017, Rn. 23. [14] Momsen, in: Beck’scher Online-Kommentar, StGB, Edition 34, Stand 01.05.2017, Rn. 21.

[15] Vgl. u. a. BGHSt 31, 279, Urt. v. 10.03.1983, Az.: 4 StR 375/82, Rn. 45; MüKoStGB/Krick, 2. Aufl. 2014, StGB § 299 Rn. 18.

[16] MüKoStGB/Krick, 2. Aufl. 2014, StGB § 299 Rn. 19.
[17] MüKoStGB/Krick, 2. Aufl. 2014, StGB § 299 Rn. 18; Dannecker, in:

Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, 4. Aufl. 2013, § 299, Rn. 79b.
[18] Dannecker, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, 4. Aufl. 2013, § 299, Rn. 39. [19] Vgl. auch Blessing, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, 5. Aufl. 2011, § 53 Rn. 56. [20] Heine/Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 299, Rn. 20.

[21] [ohne Verf.], Limit bei Geschenken einhalten, Wirtschaftswoche, 29.07.2008,
in: www.wiwo.de/finanzen/tipps-limit-bei-geschenken-einhalten/5452292.html, [Zugriff: 09.09.2014].

[22] ebenda.
[23] BGH 2 StR 177/60, Urteil v. 27.10.1960, JurionRS 1960, 11648, Rn. 44.

[24] Vgl. Heuking/von Coelln, Die Neuregelung des § 299 StGB – Das Geschäftsherrenmodell als Mittel zur Bekämpfung der Korruption?, Betriebs-Berater, Heft 6, 2016, S. 323, 325.

[25] Vgl. Heuking/von Coelln, Die Neuregelung des § 299 StGB – Das Geschäftsherrenmodell als Mittel zur Bekämpfung der Korruption?, Betriebs-Berater, Heft 6, 2016, S. 323, 325.

[26] BT-Drucks. 18/4350, S. 21.
[27] BT-Drucks. 18/4350, S. 21.
[28] BT-Drucks. 18/4350, S. 21.
[29] BT-Drucks. 18/4350, S. 21.
[30] BT-Drucks. 18/6389, S. 10.
[31] BT-Drucks. 18/6389, S. 10.
[32] BT-Drucks. 18/6389, S. 10.
[33] Vgl. u. a. Roxin, in: StV 2 2012, S. 116 (116).
[34] Moosmayer, Moosmayer Compliance, 3. Aufl., 2015, Rn. 71.

[35] Süße/Odenthal, Praktische Fragen des Geschäftsherrenmodells, Compliance- Berater, 6/2016, S. 215, 216.

[36] Vgl. u. a. Lorenz/Krause, Warum Compliance-Regeln das Strafbarkeitsrisiko nach der Neufassung des § 299 StGB erhöhen, Corporate Compliance Zeitschrift, 2017, S. 74, 75; Süße/Odenthal, Praktische Fragen des Geschäftsherrenmodells, Compliance- Berater, 6/2016, S. 215, 216.

[37] BT-Drucks. 18/6389, S. 14, 15. [38] BT-Drucks. 18/6389, S. 15.

[39] Heuking/von Coelln, Die Neuregelung des § 299 StGB – Das Geschäftsherrenmodell als Mittel zur Bekämpfung der Korruption?, Betriebs-Berater, Heft 6, 2016, S. 323, 328.

[40] Heuking/von Coelln, Die Neuregelung des § 299 StGB – Das Geschäftsherrenmodell als Mittel zur Bekämpfung der Korruption?, Betriebs-Berater, Heft 6, 2016, S. 323, 328.

[41] Momsen, in: Beck’scher Online-Kommentar, StGB, Edition 34, Stand 01.05.2017, Rn. 21.